ab 17. Dezember 2025
Online: www.gedankenspruenge-podcast.de
GEDANKENSPRÜNGE - Folge 56: Zeitgeist – Ist Ideologie die neue Religion?

Franz Danksagmüller (MHL), Professor für Orgel und Improvisation an der Musikhochschule Lübeck, unterscheidet zwischen Ideologie als menschengemachtem Regelwerk und Religion als einer Hilfestellung für ein erfülltes Leben. Er beobachtet eine wachsende Sehnsucht nach Sicherheit und einfachen Antworten – auch in der Kirchenmusik, die aus seiner Sicht zunehmend an Tiefe verliert. Gleichzeitig erlebt er eine neue Faszination für die Orgel, gerade bei jungen Menschen: Ihre klanglichen und technischen Möglichkeiten schlagen Brücken zwischen Tradition und Gegenwart und eröffnen neue Wege für Musik und Theologie.
Aus psychologischer Perspektive ordnet Susen Köslich-Strumann (UzL), Psychologin an der Zentralen Einrichtung für Prävention und Universitäres Gesundheitsmanagement, Ideologie und Religion als Quellen von Sinn, Sicherheit und Zugehörigkeit ein. Problematisch wird Ideologie dort, wo soziale Kontrolle entsteht und Abweichungen sanktioniert werden – etwa bei geteilten Überzeugungen rund um gesunde Lebensführung. Selbstoptimierung kann in einer unübersichtlichen Welt zwar Kontrolle und Selbstwirksamkeit vermitteln, birgt aber Risiken, wenn sie zur Belastung wird, wie etwa bei Orthorexie.
Lilly Schaack, Pastorin der Kultur- und Hochschulkirche St. Petri, definiert Ideologie als festes Deutungssystem, das wenig Raum für Zweifel lässt. Religion hingegen versteht sie als Beziehung zum Unverfügbaren – zu Gott –, die Fragen offenhalten darf. In einer immer komplexer werdenden Welt nimmt sie ein gesteigertes Bedürfnis nach Orientierung wahr, bei dem die Kirche nur noch eine von vielen Anbieterinnen ist. Während Ideologien oft schnelle Antworten liefern, sieht Lilly die Stärke von Religion darin, Menschen zu befähigen, mit Ambivalenzen, Scheitern und Ungerechtigkeit leben zu können – und trotzdem weiterzumachen.
Lydia Rintz (TH), Professorin für Städtebau an der Technischen Hochschule Lübeck, beschreibt Ideologie und Religion als kollektive Phänomene: Sie entfalten ihre Wirkung vor allem in Gemeinschaft. Ideologien sind oft negativ konnotiert, weil sie Starrheit begünstigen – zugleich spielen Kontrolle und Macht auch in religiösen Kontexten eine Rolle. Im Städtebau zeigt sich für sie, wie notwendig ›Unsicherheitskompetenz‹ geworden ist: Zielkonflikte zwischen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Ansprüchen führen zu emotional aufgeladenen Debatten, in denen das große Ganze leicht aus dem Blick gerät. Moderation, Abwägung und die Bereitschaft, individuelle Interessen zurückzustellen, werden hier zur zentralen gesellschaftlichen Aufgabe.
In dieser Folge unter der Moderation von Nicole Werner,Mitarbeiterin am Brahms-Institut und Gleichstellungsbeauftragte an der Musikhochschule Lübeck (MHL), beleuchtet der Podcast von Lübeck hoch 3 einmal monatlich Themen der Forschung, Kultur und Gesellschaft. Geladen sind jeweils Vertreter*innen der drei am Projekt beteiligten Hochschulen (Musikhochschule Lübeck, Technische Hochschule Lübeck und Universität zu Lübeck) und je nach Thema ein*e Expert*in als Gast.
Der Podcast steht über die Website www.gedankenspruenge-podcast.de und alle gängigen Plattformen zum Abruf bereit. Die Folgen gehen jeweils mittwochs zur Monatsmitte online.
Wissenstransfer, wechselseitiger Dialog und neue Ideen – dafür steht Lübeck hoch 3. Den eigenen Podcast sehen die Initiatorinnen und Vertreter der drei Hochschulen als wichtigen Baustein, um den Diskurs mit der Gesellschaft über Wissenschaft und Kultur anzuregen.
Die Diskussionsrunde in Folge 56:
Prof. Franz Danksagmüller (MHL) ist Komponist und Organist mit einem breiten künstlerischen Spektrum. In seinen Projekten verbindet er historische und zeitgenössische Musik mit elektronischen Klangwelten und arbeitet genreübergreifend mit Künstler*innen und Wissenschaftler*innen zusammen. Seine aktuellen Arbeiten verknüpfen Komposition, Live-Elektronik und visuelle Medien. Er studierte Orgel, Komposition und elektronische Musik in Wien, Linz, Saarbrücken und Paris und wurde mehrfach international ausgezeichnet. Seit 2005 ist Danksagmüller Professor für Orgel und Improvisation an der Musikhochschule Lübeck, seit 2015 zudem Gastprofessor in Xi’an und seit 2018 an der Royal Academy of Music in London.
Susen Köslich-Strumann (UzL),Diplom-Psychologin und Systemische Therapeutin, arbeitet an der Zentralen Einrichtung für Prävention und Gesundheitsmanagement der Universität zu Lübeck. Ihre Tätigkeit bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Psychologie, Gesundheitsförderung und Hochschulentwicklung. Ein zentraler Schwerpunkt liegt dabei darin, die mentale Gesundheit von Studierenden und Mitarbeitenden zu stärken. Dafür plant, koordiniert und gestaltet sie vielfältige Angebote des Universitären Gesundheitsmanagements – von Lehrveranstaltungen, Trainings und Workshops bis hin zu unterstützenden Peer-Programmen. Ihr Anliegen ist es, Ressourcen sichtbar zu machen, Selbstwirksamkeit zu fördern und nachhaltige Strukturen für eine unterstützende und gesunde Hochschulkultur zu schaffen.
Lydia Rintz (TH), geboren in Hamburg, ist Architektin. Nach ihrem Studium an der TU Berlin, mit Gaststudium an der ETH Zürich, arbeitete sie freischaffend und führt seit 2013 gemeinsam mit Philipp Quack das Büro ARQ Architekten Rintz und Quack in Berlin, das überwiegend Projekte im städtebaulichen Maßstab bearbeitet. Seit 2012 ist sie in der städtebaulichen Lehre tätig, zunächst mit Lehraufträgen, im Anschluss mit einer Vertretungsprofessur an der FH Münster. Seit 2020 ist sie Professorin für Städtebau und Entwerfen an der Technischen Hochschule Lübeck. In Lehre, Forschung und beruflicher Praxis beschäftigt sie sich unter anderem mit nachhaltiger städtebaulicher Dichte und zeitgemäßen Wohnmodellen, der produktiven Stadt, urbaner Mobilität und Straßenraumgestaltung und inklusiver Stadtraumgestaltung.
Lilly Schaack, geboren in Kiel, ist Pastorin an der Kultur- und Hochschulkirche St. Petri in Lübeck. Nach dem Studium der Anglistik und evangelischen Theologie in Kiel, Durham (UK) und Berlin absolvierte sie ihr Vikariat in Hamburg Blankenese. Im Anschluss an das Zweite Examen arbeitete sie in Brüssel bei der Vertretung der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Europäischen Union sowie in der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Belgien. 2024 kam sie nach Lübeck und entwickelt an St. Petri stadtkirchliche Formate an den Schnittstellen von Religion, Wissenschaft und Kunst.
Die Moderatorin Nicole Werner (MHL) ist seit November 2023 Mitarbeiterin des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck und dort als Leitungsassistenz im Bereich Veranstaltungen und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Seit 2025 ist sie außerdem Gleichstellungsbeauftragte der MHL. Sie hat Kulturwissenschaften an der FernUniversität Hagen studiert und absolviert derzeit berufsbegleitend den Masterstudiengang Kulturmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Am Podcast schätzt sie besonders, dass die Gespräche von den Expert*innen der drei Lübecker Hochschulen immer wieder neue Anregungen dazu geben, die eigenen Gedanken zu einem Thema springen zu lassen.




